Warum werden Mädchen an ihren Genitalien beschnitten?

Tradition – Wie kam es dazu?

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Der Ursprung scheint im pharaonischen Ägypten zu liegen. An zahlreichen weiblichen Mumien wurden deutliche Spuren einer Beschneidung gefunden. Von Ägypten scheint sich die Tradition über den afrikanischen Kontinent und umgekehrt bis in den Nahen Osten verbreitet zu haben.

Können wir uns vorstellen, wie tief sich eine 5.000 Jahre alte Tradition in die Kulturen und in das Denken der Menschen verankert hat? Wir können nichts Vergleichbares bei uns heranziehen. Der Weihnachtsbaum zum Beispiel ist gerade einmal 500 Jahre alt!

Bei uns in Europa, auch in Deutschland wurden bis vor 100 Jahren Mädchen und Frauen an ihren Genitalien beschnitten, wenn sie dem Wunschbild der Männer nicht entsprachen, so bei angeblicher Hysterie, Nervosität und Masturbation.

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Definition – Was bezeichnen wir als Frauenbeschneidung?

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Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) handelt es sich bei der Beschneidung von Frauen um „alle Verfahren, die die teilweise oder vollständige Entfernung der äußeren, weiblichen Genitalien oder deren Verletzung zum Ziel haben, sei es aus kulturellen oder anderen, nicht therapeutischen Gründen.“

Herauszuheben bei dieser Aussage sind die Worte „nicht therapeutisch“, denn es gibt medizinische Gründe, die einen Eingriff dieser Art notwendig machen.

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Terminologie – Welchen Begriff sollten wir verwenden?

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International werden meist die Begriffe „Genitalverstümmelung“ auf der einen Seite oder „Genitalbeschneidung“ oder „Mädchenbeschneidung“ auf der anderen Seite gebraucht. Mit dem Begriff Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation – FGM) möchten Organisationen und Akteure ausdrücken, wie grausam sie diese Tradition empfinden. Allerdings sagen afrikanische Frauen und Männer mit denen wir zusammenarbeiten, dass sie diesen Ausdruck als stigmatisierend und diskriminierend empfinden, betroffene Frauen können retraumatisiert werden.

Wir haben uns daher entschlossen, die Begriffe „weibliche Genitalbeschneidung“ oder „Mädchenbeschneidung“ zu verwenden, um die Gefühle der Betroffenen zu respektieren. Denn nur die Betroffenen können entscheiden, welche Bezeichnung richtig ist. Allerdings hat sich der Begriff „Genitalverstümmelung“ im rechtlichen Bereich durchgesetzt, so dass wir bei den Zitaten von Gesetzen diesen Begriff verwenden.

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Gründe – Warum werden Mädchen beschnitten?

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Eltern, die ihre Töchter nicht beschneiden lassen, drohen extreme Repressalien, bis dahin, dass sie fortziehen müssen, weil ihnen die Lebensgrundlage entzogen ist.

Hinzu kommt, dass unbeschnittene Töchter verfolgt werden. Sie gelten als „offen“, was einem Schimpfwort gleichkommt und sind oft Freiwild für Männer. In Ländern in denen die Mehrheit der Bevölkerung die Beschneidung befürwortet, ist es für junge Frauen auch schwer, einen Mann zu finden.

Die Folge ist, dass Eltern sich in solchen Situationen dem Zwang der Gesellschaft beugen und gegen ihre Überzeugung einer Beschneidung zustimmen.

Beschnittene Frauen gelten als rein und schön. Das könnte uns an die Schönheitsoperationen erinnern.

Initiation: Die Beschneidung dient als Initiationsritual für den Übergang vom Mädchen zur Frau. Oft ist sie mit einem Fest für die Mädchen verbunden.

Kontrolle der Sexualität: Die Beschneidung dient der Kontrolle und Einschränkung der weiblichen Sexualität. Die angeblich „überschießende“ weibliche Sexualität soll gedämpft werden. Eine nicht beschnittene Frau gilt als „offen“, was einem Schimpfwort gleichkommt. Sie wird als Prostituierte angesehen.

Tabuisierung: Weibliche Genitalbeschneidung ist in den Herkunftskulturen ein Tabu-Thema, das einem absoluten Schweigegebot unterliegt.

Nicht nachvollziehbar ist die Begründung, die Beschneidung fördere die Fruchtbarkeit oder die Geburten würden dadurch sicherer. Das Gegenteil ist der Fall!

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Spielen die Religionen eine Rolle?

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Weibliche Genitalbeschneidung wird häufig als islamischer Brauch dargestellt.

Tatsache ist jedoch, dass sich Mädchenbeschneidung durch keine Religion begründen lässt, weil sie wesentlich älter als alle bestehenden Religionen ist.

Die jüngste Religion, der Islam, kann dabei also ganz sicher keine Rolle spielen.

In allen großen Religionen wurde oder wird die Beschneidung von Mädchen durchgeführt, wenn dies die kulturelle Vorprägung der Umgebung so vorschreibt.

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Gibt es zwischen Mädchen- und Jungenbeschneidung einen Unterschied?

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Der Unterschied ist wirklich gewaltig. Für uns hat sich Dr. med. Christoph Zerm dadmit einmal gründlich auseinandergesetzt.

Es wirkt wie eine grausame Verharmlosung, wenn die Jungenbeschneidung in die Nähe der Mädchenbeschneidung gesetzt wird.  Dr. Zerm schreibt dazu:

Entwicklungsbiologisch entspricht der männliche Penis der weiblichen Klitoris, sie gehen aus der selben gemeinsamen Anlage hervor, mit jeweils vergleichbar intensiver Ausstattung an sensiblen Nervenendigungen (ähnlich der Zeigefingerkuppe). Ferner entsprechen entwicklungsbiologisch die kleinen Schamlippen dem Hodensack. Die Anlage, die sich bei der Frau zur Vagina entwickelt, bleibt beim Mann verschlossen, die ursprünglich röhren- bzw. gangartig vorhandene Vorstufe verkümmert.
Hieraus läßt sich die Bedeutung der männlichen bzw. weiblichen Beschneidung für den jeweils Betroffenen im Vergleich präziser verstehen:
FGM Typ I würde beim Mann die teilweise oder gänzliche Entfernung des Penis bedeuten.
FGM Typ II würde beim Mann über die Entfernung des Penis hinaus auch noch die Entfernung des Hodensackes bedeuten.
FGM Typ III läßt sich in seinem schädigenden, verstümmelnden Ausmaß mit den Verhältnissen beim Mann gar nicht mehr vergleichen, weil ein entsprechend bedeutungsvolles Organ wie die Vagina bekanntlich fehlt.

Komplette Stellungnahme von Dr. med. Christoph Zerm

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Kriege und Klima spielen zunehmend eine Rolle

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In vielen Teilen Afrikas haben die Klimakatastrophen und Konflikte der letzten Jahre die Existenzgrundlagen der Menschen zerstört. In den langen Dürrezeiten ist das Vieh verdurstet, in den Stürmen und Überschwemmungen die Häuser und Ställe zerstört worden.

Wenn die Not extrem groß geworden ist, werden als letztes Zuflucht die Töchter verkauft, um durch den Brautpreis den Rest der Familie länger zu ernähren.

Die Höhe des Brautpreises wiederum ist oft abhängig von der Beschneidung und dann nicht selten vom Grad der Beschneidung. Auch hier sind wieder die Mädchen die Leitragenden.

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Die SDGs – Globale Ziele für Nachhaltige Entwicklung

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Die Staats- und Regierungschefs der Welt trafen sich Ende September 2019, um eine Reihe globaler Ziele zu erörtern, die 2015 vereinbart wurden, um Armut, Klimawandel und andere internationale Probleme bis 2030 zu überwinden.

Angesichts der Tatsache, dass die Uhr tickt warnen Regierungen, NRO und andere Institutionen, dass nicht genug getan wird, um die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) mit 169 Zielen, die von den 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen genehmigt wurden, zu erreichen. Der SDG-Gipfel war der erste seiner Art seit Verabschiedung der Agenda und wurde als Chance gesehen, den Fortschritt bei den Zielen zu beschleunigen, bei denen versprochen wurde “niemanden zurückzulassen”.

Es wurden acht Warnungen ausgesprochen, die in verschiedenen Berichten im Vorfeld des Gipfels veröffentlicht wurden:

Unten den aufgeführten 8 Warnungen ist mit der Nummer 4:

4. WEIBLICHE GENITALBESCHNEIDUNG – Laut UNFPA werden jährlich schätzungsweise 3,9 Millionen Mädchen an ihren Genitalien beschnitten. Aufgrund des Bevölkerungswachstums könnte diese Zahl bis 2030 auf 4,6 Millionen steigen, wenn nicht größere Anstrengungen unternommen werden, um dies zu verhindern.

Weiterlesen: VEREINTE NATIONEN (Thomson Reuters Foundation)

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Ziel 1 – Armut in jeder Form
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Armut steht auch in direktem Zusammenhang mit weiblicher Genitalbeschneidung. Es sind oft die Mädchen in armen Familien, deren Umgebung fest verankert ist im traditionellen Denken. Es gibt in ihrer Gesellschaft kaum Menschen, die aufgeklärt sind und sich gegen die Beschneidung von Mädchen wenden. Wichtig ist daher auch für uns: Armut beenden!

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Ziel 3 – Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters
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Bei der Beschneidung sterben viele Mädchen und die überlebenden leiden ihr ganzes Leben lang unter erheblichen gesundheitlichen Problemen.

Es ist seltsam, dass in Bezug auf weibliche Genitalbeschneidung fast immer vom ungeheuren, persönlichen Leid der Mädchen und Frauen gesprochen wird und nur selten der große volkswirtschaftliche Schaden beschrieben wird, der viele Länder an der Entwicklung hindert.

Hilary Burrage, britische Soziologin, schreibt 2014 in Bezug auf Auswirkungen von FGM/C, es sei tragisch für eine Gemeinschaft, „wenn ein erheblicher Teil der erwachsenen Erwerbsbevölkerung … dauerhaft an Krankheiten leidet und daher auch eine nicht optimale wirtschaftliche Leistung erbringt. Bestenfalls handelt es sich um eine weniger starke Resistenz gegen Infektionen, Rückenschmerzen usw. Im schlimmsten Fall ist FGM ein Mörder, sowohl des Opfers selbst als auch oft ihres Babys während der Entbindung“. Und sie führt weiter aus, dass dies auch später sein kann, wenn sie nicht in der Lage ist, für sie richtig zu sorgen… „Lokale Volkswirtschaften, sowie einzelne Menschen zahlen einen hohen Preis für FGM.“

 

Belastung für die Gesundheitsbudgets

Der wirtschaftliche Schaden von FGM/C ist enorm. Die WHO geht davon aus, dass jährlich 1,4 Milliarden US-Dollar für medizinische Behandlungskosten von FGM/C anfallen würden, wenn die erforderlichen Behandlungen vorgenommen werden würden. Für einzelne Länder würde das bedeuten, dass diese Mehrkosten für medizinische Leistungen 10 Prozent, in einigen Ländern sogar 30 Prozent ihres Gesundheitsbudgets ausmachen würden. Diese Zahlen beruhen auf einer Modellrechnung und es wurden auch die Ersparnisse bei Beendigung von FGM/C für 27 stark von dieser Menschenrechtsverletzung betroffene Länder berücksichtigt. Könnte FGM/C sofort abgeschafft werden, käme es zu einer Reduzierung der Gesundheitskosten um mehr als 60 Prozent bis 2050. Anderenfalls werden die Gesundheitskosten um 50 Prozent bis 2050 steigen.

Quellen:
Female Genital Mutilation Hurts Women and Economies, WHO
FGM Cost Calkulator, WHO
Tell No Lies: Neurobiological Consequences of FGM, frontpageafricaonline

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Ziel 4 – Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung
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Viele Mädchen, lernen in den Schulen in Afrika bereits, dass die Beschneidung unnötig und gefährich ist. So kommt es, dass Sie flüchten und warten in Schutzhäusern die  Beschneidungszeit ab.
Mädchen die beschnitten sind, müssen aufgrund der vielen Krankheiten und Schmerzen, die damit verbunden sind, oft der Schule fernbleiben, verlieren den Anschluss und gehen häufiger ohne Abschluss ab. Frühehe ist oft die Folge.
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Ziel 5 – Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen
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Dieses Ziel wird bei der weiblichen Genitalbeschneidung in jeder Weise verletzt.

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Ziel 8 – Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum
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Im entwicklungspolitischen Bildungsbereich wird weibliche Genitalbeschneidung so gut es geht ausgeklammert. Vielleicht ist es nicht angenehm, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Aber wenn wir ernsthaft die Entwicklung der betroffenen Länder wollen, müssen wir uns ernsthaft mit den Auswirkungen beschäftigen.

Hilary Burrage kommt entsprechend zu dem Schluss: „Zusammen mit den schrecklichen menschlichen Schädigungen hat FGM sicherlich Auswirkungen auf viele Volkswirtschaften von Gemeinden und Nationen auf der ganzen Welt. Warum sind die wirtschaftlichen Kosten von FGM/C also nicht von zentraler Bedeutung für das Denken über die internationale Entwicklung und die nationale Politik?“

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